Text: Christel Zidi


Welche Frau – und mag sie noch so modern, aufgeklärt und selbst-bestimmt sein – hat nicht einmal den Traum vom Prinzen auf hohem Ross gehabt, der kommt, um sie aus der Enge des Zuhauses zu entführen?

Das wird bei Thusnelda nicht anders gewesen sein. Mit dem Unterschied, dass ihr Traum wahr wurde. Zwar war es kein Prinz, der zu ihr geritten kam – aber immerhin ein Fürst, was bei den Germanen jener Zeit schon ein sehr hoher Rang war. Auch das Pferd dürfte kein schlechtes gewesen sein. Von der „Enge des Zuhauses“ zu sprechen, passt auch nicht ganz – zumindest nicht, wenn es um räumliche Maße geht.

Thusnelda war die Tochter des Cheruskerfürsten Segestes, der – so erzählt man sich – auf der Eresburg in Marsberg lebte. Segestes wird sie gut behütet (oder besser: bewacht) haben. Denn seine Tochter war sehr schön, und eine gute Mitgift war zu erwarten. Thusneldas Verehrer entstammte ebenfalls einem Cherusker-Fürstengeschlecht – was einige Zeit zuvor durchaus ein Vorteil gewesen wäre. Doch ausgerechnet jetzt gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Cherusker-Stämmen.

Schon dreimal hatte sie ihn gesehen – Hermann, den Cherusker – und war gleich für ihn entbrannt: groß, stattlich, mit blonden Haaren und strahlend blauen Augen. Auch in seinem Blick hatte sie beim ersten Mal Bewunderung gesehen – beim zweiten Mal: Begehr. Nun saß Hermann an der Tafel ihres Vaters. Er war gekommen, um um ihre Hand anzuhalten. Thusnelda konnte aus der Entfernung nur Wortfetzen verstehen. Doch das, was sie hörte, klang nicht nach Einvernehmen.

Hermann (Arminius) and Thusnelda 
von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1822)

Zehn Tage später saß Thusnelda auf seinem Pferd. Hermann hatte sie aus der Burg ihres Vaters entführt. Nun waren sie auf dem Weg in sein Stammesgebiet im Norden. Für Thusnelda begann eine wunderbare Zeit. Hermann war ganz anders als die Männer ihres Stammes: feiner, intelligenter, aufmerksamer. Die Römer hatten ihn schon in jungen Jahren mit ihrer Kultur und Sprache vertraut gemacht. Lange Zeit lebte er mit seinem Bruder in Rom. Deshalb konnte Thusnelda nicht verstehen, warum ihr Vater sich nicht für ihren Liebsten erwärmen konnte – immerhin mochte Segestes die Römer und ihre Kultur. Und niemand, den sie kannte, wusste so viel vom Römischen Reich wie Hermann.

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