Nun stand ein weiterer Fall an: Steffen von Niederbergheim. Stappert kannte ihn. Der Niederbergheimer war ungefähr in seinem Alter. Eigentlich kannte ihn jeder in der Umgebung, denn mit dem Wasser aus der Möhne braute Steffen ein besonders gutes Bier. Doch dieser Bierbrauer, der da auf der Anklagebank saß, hatte mit Hexerei nun wirklich nichts im Sinn. Natürlich vernebelte zu viel seines Bieres einem schon mal den Kopf, aber das tat anderes Bier ebenso.

Als Michael dem jungen Brauer die letzte Beichte abnahm, hörte er fast das Gleiche, das er zuvor auch von den anderen Verurteilten erfahren hatte – von denen in Kallenhardt, Hirschberg, Hellefeld und jetzt hier in Allagen. Die schon zuvor aufgekommenen Zweifel des Pfarrers verstärkten sich. Für Steffen konnte er nichts mehr tun, aber er wollte seinen Blick mal genauer auf das richten, was bei diesen Prozessen wirklich vor sich ging. Fortan führte er nicht nur Gespräche mit den Verurteilten und ihren Verwandten, sondern auch mit anderen Geistlichen und mit den Gefängniswärtern. Jetzt wollte er genau wissen, was wirklich bei den Hexenprozessen, an denen er in den Jahren 1628 und 1629 teilnahm, geschah – und was bei den Folterungen geschah. Auch den Hexenkommissar nahm er mal genauer unter die Lupe:

Heinrich Schultheiß stammte aus einer reichen Großbauernfamilie aus Scharmede bei Salzkotten. Was hatte ihn zum unbarmherzigen Hexenkommissar werden lassen, der er war? Die Ausbildung an der Jesuitenschule in Paderborn oder später die an den Universitäten in Köln und Würzburg, die keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Hexenverfolgung ließen? Hatte ihn der Verfolgungseifer der Brüder Dietrich und Kaspar von Fürstenberg angesteckt – der eine Bischof im Hochstift, der andere Landdrost im Herzogtum Westfalen? Oder war es die Tatsache, dass sein Vater, als Schöffe an einem Hexenprozess beteiligt – damals wurden zwölf Frauen verurteilt und hingerichtet –, vom Sohn einer Verurteilten wegen Rechtsbeugung verklagt wurde? Mischte sich da der Kampf gegen den Protestantismus mit der Bekämpfung des „Hexenunwesens“?

Verfolgte Michael Stappert, der Priester aus Rüthen-Meiste, der bis 1621 in Hirschberg und später in Grevenstein tätig war, wirklich die gleichen Ziele wie der hartherzige Hexenrichter? Ganz sicherlich nicht. Die Erkenntnisse, die Michael Stappert erlangt hatte, führten zu einem vollständigen Sinneswandel. Er schrieb diese nieder und wandte sich fortan gegen das Unrecht, gegen gnadenlose Folterung und die Verurteilung Unschuldiger als Hexen und deren Tod auf dem Scheiterhaufen. Seine Schrift, die „Cautio Criminalis“, die er 1631 schrieb, wurde 1676 in dem Buch des Amsterdamer Kaufmanns Hermann Löher veröffentlicht. Darin schrieb Michael Stappert u. a.:
„So sehe ich mich dahin gebracht zu zweifeln, ob es überhaupt Hexen gibt.“ 

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