Der zweite Schäfer, Andreas, war einige Jahre älter als er und lebte mit seiner Familie im Dorf, in einem alten Haus, durch das der Wind aus jeder Ritze pfiff. Bald würde auch Gerhardus sich ein Mädel suchen, doch heiraten wollte er erst, wenn er ein Haus gefunden hatte, in dem er sich ebenso wohl fühlte wie in seiner Kammer über den Schafen.
Gerhardus trieb seine Herde oft hinaus bis „In den alten Wiesen“ oder „Aufm Strange“. Die Nonnen nannten ihn ovium custos – den Hüter der Schafe. Er war nicht nur Wächter, sondern auch Teil der stillen Ordnung, die das klösterliche Leben bestimmte: Morgens die Herde hinaus, abends zurück durch das Tor der curia, des Wirtschaftshofes, über das uralte Pflaster aus Ruhrkieseln.
Manchmal kam die Äbtissin selbst, um die Wolle prüfen zu lassen, bevor sie in den Klosterräumen gesponnen wurde. Aus dieser Wolle entstanden die einfachen Gewänder, Decken und Tücher, die das Kloster brauchte – ein Kreislauf, der Jahrhunderte lang Bestand hatte.
Als das Kloster aufgelöst wurde, mussten die Schäfer eigene Wege gehen. Ihre Spur verlor sich. Doch der Stall blieb, das Pflaster aus Ruhrkieseln auch.
Heute führt der Weg zum Kaffeehaus durch eben jenen Schafstall. Wer dort steht und den Blick nach oben richtet, sieht noch immer die kleine Tür in der Ecke – hinter ihr schlief einst Gerhardus, der Schäfer aus Rumbeck.
Fakten
Kloster Rumbeck wurde um 1190 als Prämonstratenserinnen-Damenstift gegründet.
Die Schafhaltung war ein zentraler Bestandteil der Klosterwirtschaft.
Zwei Klosterschäfer und 121 Schafe waren es zur Zeit der Klosteraufhebung (1806).
Geweidet wurden die Tiere auf den alten Hudeplätzen zwischen Rumbeck und Oeventrop

