Text: Christel Zidi
Gut Wildshausen, im Jahre des Herrn 1380 (ein fiktiver Brief der Anna von Kleve)
Manchmal, wenn die Sonne hinter den Hügeln versinkt und der Wind durch die Bäume flüstert, spüre ich sie wieder – die Stimmen von damals, das Echo eines Lebens, das mir heute als alte Frau wie ein ferner Traum erscheint.
Ich, Anna von Kleve, wurde in der Schwanenburg am Rhein geboren – als Nachkommin einer einflussreichen niederrheinischen Adelsfamilie. Und wie es sich für solch alte Häuser geziemt, war es wichtig, dass die Kinder gut – vor allem politisch klug – verheiratet wurden. Das Glück war dabei auf meiner Seite. Gottfried, ein Mann aus dem Arnsberger Grafengeschlecht, war nicht nur eine passende Partie, sondern auch recht gutaussehend. Und nicht nur das: Mein Ehegatte besaß eine geradezu königliche Güte. Dabei war er stolz, stark und oftmals auch ungestüm. Er konnte streiten, ja – und es gab viele Kämpfe in seinem Leben: mit den Kölnern, mit den Märkern, mit sich selbst. Doch wenn er mit den Menschen sprach – auf dem Markt, vor der Kirche, bei den Festen –, dann war er nicht Graf, sondern einer von ihnen. Ich sehe ihn noch vor mir, hoch zu Ross, wenn wir durch die Straßen ritten. Kinder rannten uns entgegen, Alte grüßten mit ehrlicher Wärme. Die Menschen liebten ihn – nicht nur, weil er ihr Herr war, sondern weil er sie achtete.
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