Michael, mein Bruder, war mit scharfem Verstand und einer großen Gabe gesegnet. Er sah das Gebäude in seinem Inneren, ehe der erste Stein gelegt ward. Er zeichnete mit ruhiger Hand, verstand Maß und Proportion wie kaum ein Zweiter und vermochte zu führen, wo andere zauderten. Ich selbst war dem tätigen Werk zugewandt, Stephan hatte ein feines Auge für Form und Zier. Wir ergänzten einander trefflich – und hielten treu zusammen.

In Westfalen angelangt, suchten wir ehrbare Meister. Stephan und ich fanden bald ehrliche Beschäftigung, doch Michael dürstete nach höherem Wissen. In Lippstadt trat er in die Werkstatt des berühmten Nikolaus Wurmstich, eines geachteten Meisters seines Faches. Neun Jahre stand er in dessen Diensten, lernte, maß, entwarf – bis man nimmermehr zu sagen wusste, wer der Lehrer sei und wer der Schüler. Gemeinsam wirkten sie an manchem Werk, unter anderem an der barocken Vorburg des Schlosses Overhagen, die im Jahre 1720 entstand. Als Meister Wurmstich verschied, trat Michael an seine Statt – nicht durch Bitte, sondern durch Verdienst.

In Erwitte fand er ein tugendsames Weib, das ihm zwei Kinder gebar und früh verschied. Eine zweite Ehe ward ihm beschieden, aus der abermals zwei Kinder hervorgingen. Stephan und ich fanden unsere Frauen in Rüthen, einer kleinen Bergstadt, von Mauern umgeben, mit einem Steinbruch, der jenen warmen, weichen Grünsandstein barg, den wir schon in der Heimat geschätzt hatten. Im Jahre des Herrn 1725 wurden wir Bürger daselbst. Wir wollten verweilen – und wir wollten bauen.

Michael aber ward weithin bekannt. Man rief ihn von Ort zu Ort, und oft nahm er Stephan und mich mit. Wir arbeiteten auf vielen Stätten, doch zwei Werke heben sich hervor wie Türme im Nebel.

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