Text: Christel Zidi

Nach über 100 Jahren kehrte der Wolf nach Deutschland zurück. Für Städter ist das oft ein Symbol für Naturschutz und Wildnis, für die Landbevölkerung hingegen war und ist er vielfach noch ein Gegner – ein Konkurrent, gegen den man früher ums nackte Überleben kämpfte. Meister Isegrim ist mehr als ein Tier; er ist Teil unserer Kulturgeschichte. Wer über ihn spricht, muss die jahrhundertelange Jagd auf Wölfe in den Blick nehmen.

Im Zeitalter der Digitalisierung ist es schwer vorstellbar, dass der Wolf einst eine echte Bedrohung für die Existenz vieler Menschen war. Besonders während Hungerzeiten traf der Verlust eines Nutztieres hart. Viehherden grasten frei am Waldrand, Schafe, Schweine und Ziegen wurden leichte Beute. Während heutige Landwirte ihre Tiere mit Zäunen und Herdenschutzhunden schützen können, war dies bis weit ins 19. Jahrhundert ein nahezu unlösbares Problem.

Doch nicht nur die Bauern hatten ein Interesse an der Wolfsjagd. Auch die Feudalherren des Sauerlands betrachteten den Wolf als Konkurrenten. Die reichen Wälder boten dem Raubtier genug Nahrung, doch Jagd und Wildrecht waren Privilegien der Landesherren. Wer den Wolf erlegte, beseitigte also nicht nur eine Bedrohung für das Vieh, sondern sicherte zugleich Macht und Prestige der Obrigkeit.

Die Jagden waren sorgfältig organisiert. Jeder Distrikt hatte Spürer und Treiber, jeder Ortsteil musste eine bestimmte Zahl an Männern stellen. Bei Neuschnee trafen sich Hunderte von Jägern an den sogenannten „Feuerstätten“ – Sammelplätzen im Wald. Sie waren bewaffnet mit Trommeln, Spießen, Schwertern, Fangeisen und Äxten. Pferde transportierten die Ausrüstung, darunter auch aus Leinen gewebte Fangtücher aus Arnsberg. Sobald ein Wolf aufgespürt war, wurde er regelrecht eingekreist: Trommeln dröhnten, Treiber setzten sich in Bewegung, Jäger versteckten sich hinter Bäumen, um das Tier vor die Flinte zu bekommen.

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