Der Gedanke an Graf Heinrich I., der seinen gleichnamigen Halbbruder im Kerker hatte sterben lassen, ließ sie frösteln. Aber das war ja lange her – und wer wusste schon, was damals wirklich geschehen war?

Agnes verscheuchte die unangenehmen Gedanken und rief sich ihre neue Wirkungsstätte ins Gedächtnis: Das Stiftshaus in Meschede war nicht mit ihrer Residenz zu vergleichen – aber recht beeindruckend. Und sie konnte jederzeit auf eine andere Wohnstätte ausweichen. Platz gab es genug in Meschede, und viele der Stiftsdamen lebten ohnehin in eigenen Haushalten. Besonders gefiel ihr die Stiftskirche, der Heiligen Walburga geweiht: Ein gewaltiges Bauwerk mit vielen Kostbarkeiten – vor allem mit den Reliquien der Namenspatronin. Und sie – sie würde an erster Stelle stehen, als Repräsentantin dieses Gotteshauses.

Was die Verwaltung der Stiftgüter – immerhin 40 Haupthöfe, 300 Bauernhöfe, elf Pfarreien plus die Salzrechte in Bad Sassendorf – anging, würde Agnes zweifellos Unterstützung benötigen. Sie hatte gehört, dass es dort zu Schwierigkeiten gekommen war. Einige Bauern versuchten offenbar, ihre Zahlungen zu reduzieren – doch das würde man ihnen schon wieder austreiben können. Agnes war da sehr zuversichtlich. Am meisten freute sie sich auf die vielen gebildeten Frauen, mit denen sie hinter den Stiftsmauern lesen, diskutieren und frei sprechen konnte. Was für großartige Zukunftsaussichten.

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