Text: Christel Zidi

Allendorf, 7. November 1629 (fiktive Erzählung)

Ich bin Kaspar Kellermann. Geboren und gelebt in Allendorf – Bürger, geachtet, wohlhabend. Und nun: verurteilt. Die Anklage? Zauberei. „Der leidige Zauberlaster“, so nennt man es. Welch blanker Hohn. Kein Beweis, kein Wunder, kein Teufelspakt – nur Misstrauen, Angst und Worte, die wie Gift wirkten.

Sie sagen, ich hätte mit dunklen Kräften gehandelt. Ich aber diente nur der Klarheit, dem Denken. Ich sah die Welt brennen in Krieg, Hunger und Elend. Und überall schlich er: der Aberglaube, das Geraune, die Furcht vor dem, was man nicht kennt. Ich bin gefallen wie so viele, verleumdet und verurteilt – nicht für Taten, sondern für das Schweigen der Vernunft.

Der Scheiterhaufen ist bereit. Hoch haben sie das Holz gestapelt, auf dem Ellberg, wo man meint, das Feuer reinige. Es wird nichts reinigen. Es wird mich töten.

Doch bevor die Flammen mich holen, bitte ich um Aufschub. Nicht aus Angst. Mein Herz schlägt ruhig. Nein – ich bitte, weil ich noch etwas zu geben habe. Etwas, das bleibt. Ein Testament. Ein Wille, der stärker sei als Hass, tiefer als Angst, größer als dieses Feuer.

Zuerst gedenke ich meiner Familie. Sie sollen nicht unter meinem Urteil leiden. Dann bedenke ich die Kirche. Dreißig Reichstaler gebe ich, damit man jedes Jahr am 29. Oktober eine Messe für meine Seele liest. Vielleicht bleibt mein Name so – im Gebet, nicht im Spott.

Doch das Wesentlichste: Ich hinterlasse mein Haus, mein Gut der Stadt. Nicht für Prunk, nicht für Macht – sondern für Bildung. Für einen Schulmeister. Einen „bequemen und dienlichen Schuldiener“, wie ich schrieb. Einen, der den Kindern dieser Stadt etwas lehrt. Besonders denen, die nichts haben. Den Armen, den Schwachen, den stillen Jungen und Mädchen, die sonst niemand sieht.

Denn nur Wissen schützt. Nur Denken heilt. Nur Bildung verhindert, dass ein Mensch wie ich eines Tages wieder brennt, weil er anders denkt.

Lasst sie lernen: Lesen, Schreiben, Urteilen. Lasst sie unterscheiden zwischen Wahrheit und Geschwätz. Vielleicht, eines Tages, wird einer von ihnen Richter sein – und erkennen, was recht ist.

Notar Scherer schrieb alles nieder. Richter Müer und die Schöffen Schomacher und Wreden bezeugten: Dies war mein Wille. Mein letzter.

Das Feuer kommt. Doch ich hoffe: Meine Worte bleiben.

Wenn eines Tages ein Kind durch Allendorf geht – zur Schule, durch eine Straße, die meinen Namen trägt – dann möge es wissen: Ich starb nicht als Hexer. Ich starb als Mensch, der hoffte.

Und das, so Gott will, wird bleiben.

Allendorf im Stadtgebiet Sundern (2006)
Foto. Georg Hennecke

Bild ganz oben: ki-generiert by Microsoft Copilot