Text und Foto: Christel Zidi
Erinnerungen einer Barmherzigen Schwester
Fiktive Erzählung
Neheim, im Jahre 1880
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit im alten Krankenhaus an der Mendener Straße 33 – ein grauer, dreigeschossiger Bau mit krummen Deckenbalken und knarrenden Dielen. Immerhin war er geräumiger als das Haus, das zuvor als Hospital diente. Dort, so erzählte man sich, standen kaum mehr als fünf Betten für die Kranken bereit.
Das Gebäude hatte der frühere Bürgermeister kurz nach dem großen Brand errichten lassen. Später lebte dort ein Bäcker, dann ein Gastwirt. Von ihm erwarb schließlich der Krankenverein das Haus. Eine Zeit lang nutzte auch die jüdische Gemeinde das obere Stockwerk – als kleine Betstube. Ab und zu begegneten wir einigen ihrer Mitglieder. Besonders ist mir ihr Vorsteher im Gedächtnis geblieben: Noa Wolff. Ein vornehmer Mann, voller Witz und Wärme. Sicherlich hatten es die Juden in der Stadt nicht immer leicht, doch wenn er in der Nähe war, hallte sein herzhaftes Lachen bis in unsere Krankenzimmer. Auch uns Schwestern begegnete er stets mit großer Freundlichkeit.
Wir – das waren Schwester Martha und ich, Schwester Pia. Der Bischof hatte uns mit der Pflege im Dienst des Ferdinandinen-Krankenvereins betraut – des „Armen-Kranken-Unterstützungsvereins“. So führte mich mein Weg von der Pflegeanstalt in Geseke hierher nach Neheim. Die Arbeit war oft hart, doch wir verrichteten sie mit Hingabe. Denn für uns Barmherzige Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul ist das Leben in der Nachfolge Jesu geprägt durch tätige Nächstenliebe. Und die kam auch in Neheim gut an. Wir fühlten uns willkommen, und es tat gut, in den Augen der Patienten Dankbarkeit zu erkennen. Wir kochten Brühen, wuschen und verbanden Wunden, spendeten Trost – und beteten. Ein Arzt war nicht ständig vor Ort, doch gelegentlich schaute einer vorbei, wenn der Zufall oder die Not es wollten. Medikamente waren rar, Seife ein Segen – und Ruhe das kostbarste Gut.

