Foto: Georg Hennecke
Text: Sabina Butz und Christel Zidi
Der Arnsberger Identitätssschlüssel
Man kann die Geschichte auch aus der Gegenwart interpretieren: Wenn der Arnsberger Graf Heinrich I. (* um 1128; † 1200) nicht das Sakrileg begangen hätte, seinen Bruder während einer Messe verhaften zu lassen – und dieser Bruder nicht in der Haft verstorben wäre –, hätte es wahrscheinlich kein Kloster Wedinghausen gegeben, und die Geschichte Arnsbergs wäre völlig anders verlaufen.
Man kann sogar noch weiter gehen: Hätte Heinrich den Bruder nach der Messe verhaften lassen, sagen wir irgendwo außerhalb des Kirchenumfelds, wäre die Nachricht heute allenfalls eine kleine Randnotiz in der Geschichte Arnsbergs wert.
Der Erzbischof von Köln, Heinrich der Löwe (Herzog von Sachsen) und weitere Bischöfe Westfalens sannen auf Rache, eroberten und zerstörten 1166 die Burg Arnsberg. Heinrich musste fliehen. Durch die Fürsprache Kaiser Barbarossas und eine Selbstdemütigung vor dem Kölner Erzbischof konnte Heinrich I. seine Herrschaft retten. Zur Sühne gründete er 1170 das Prämonstratenserstift Wedinghausen, das als „Kloster Wedinghausen“ in der Gegenwart mit überraschenden Schätzen aufwartet:
Beginnen wir mit der Tumba (Hochgrab), in der die Grafen Heinrich I. und sein Sohn Heinrich II. sowie dessen Gemahlin Ermengard im 13. Jahrhundert beigesetzt wurden. Auf dem Hochgrab befinden sich die Liegefiguren Heinrichs II. und seiner Ehefrau Ermengard. Das ca. 80 × 200 cm große Grab ist mit wertvollen Fresken ausgestattet – eine ursprünglich in Flandern verbreitete Grabgestaltung, die aus Westfalen bislang nicht bekannt war. Hier wird deutlich, dass Westfalen, und darin Arnsberg, schon im Mittelalter Teil eines überregionalen kulturellen Austauschs war.
In der Kirche finden wir unter der Orgel das Grab von Friedrich dem Streitbaren. Dieser Friedrich war Regent der Grafschaft Arnsberg-Werl von 1092 bis 1124 und nicht gerade als friedlich oder sanft zu bezeichnen.
Weiter geht es mit dem „ältesten Kölner Bischofsstuhl“ – ein gepolsterter Vorläufer unserer Klappstühle, bestens geeignet für „gewichtige“ Männer. Das 900 Jahre alte romanische Kreuz, eines der ältesten im norddeutschen Raum, besticht durch seinen intensiven, tröstenden Ausdruck. Christus wird hier nicht als Leidender dargestellt, sondern als Souverän – als trostspendender König. Ein eindrucksvoller Moment für jeden Betrachter. In der Sakristei, in der ein wunderschöner Schrank („älter als 700 Jahre“) noch immer in Gebrauch ist, wird die Chorkleidung aufbewahrt.
Ein Fenster vom Kreuzgang in den Kapitelsaal erlaubte weltlichen Menschen Einblick in die Vorgänge und Rituale im Kloster.
Es könnte sich auch um ein sogenanntes „Frauenfenster“ gehandelt haben – dann wären wir hier vielleicht schon bei den zögerlichen Anfängen der Frauenemanzipation?
Es gibt noch mehr zu bestaunen: Gleich neben dem Kapitelsaal befand sich das Scriptorium (Schreibsaal), ausgestattet mit der ältesten Luftheizung des Mittelalters. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert und konnte einen ca. 70 m² großen Raum auf 20 Grad erwärmen.
Die Bedeutung Wedinghausens war in früherer Zeit enorm hoch. Hier war die Prominenz und Intelligenz der Grafschaft vertreten. Die Klosterbibliothek war eine der umfangreichsten im Westen – auch der Gero-Codex befand sich lange in ihrem Besitz. Das Scriptorium war überregional bekannt.
Das Kloster Wedinghausen ist ein ehemaliges Prämonstratenser-Chorherrenstift in Arnsberg. Es wurde um 1170 gegründet und im Zuge der Säkularisation im Jahre 1803 aufgehoben.
Die Klosterkirche, welche bereits während des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit auch Pfarrkirche der Stadt Arnsberg war, ist seit dem 19. Jahrhundert die römisch-katholische Gemeinde- und Propsteikirche St. Laurentius.

